Ursache des Reizdarm-Syndroms gefunden?

Ursache des Reizdarm-Syndroms gefunden

Einführung

Es besteht die Möglichkeit, dass Forscher die Ursache des Reizdarmsyndroms gefunden haben. Man hat festgestellt, dass eine Immunreaktion des Darmes auf bestimmte Lebensmittelinhaltsstoffe dahinter stecken könnte. Bei diesen Inhaltsstoffen handelt es sich um Antigene, die in bestimmten Lebensmitteln zu finden sind. Diese Reaktion des Darmes ist auf den Dickdarm begrenzt und so über einen Allergietest nicht nachweisbar. Ausgelöst wird diese Überempfindlichkeit bei vielen Betroffenen durch eine Infektion des Darmes, während der, die Lebensmittel zufällig im Darm vorhanden waren.
Originalpublikation: https://www.nature.com/articles/s41586-020-03118-2

Ist die Ursache des Reizdarmsyndroms gefunden, ein Darminfekt?

Für viele von uns, nämlich etwa 10 Prozent der Bevölkerung in Mitteleuropa sind Bauchkrämpfe, Blähungen und Durchfall nach dem Essen der Normalfall, denn sie haben das Reizdarmsyndrom. Dabei reagiert ihr Darm überempfindlich auf Nahrung. Bei einigen von ihnen reagiert der Körper auf bestimmte Lebensmittel heftiger als auf andere. Bislang aber war unklar, welche Ursache dem Reizdarm-Syndrom zu Grunde liegt. Oft ist es für die Betroffenen schon ein sehr langer Weg bis zur Diagnose.

 Viele werden von Ärzten nicht wirklich ernst genommen. Denn sie zeigen keine klare allergische Reaktion und so gelten ihre Probleme schnell nicht als körperlich, sondern werden auf die Psyche geschoben. Die Ursache des Reizdarm-Syndroms zu finden, bedeutet jedoch zunächst einmal, auch nach ihr zu suchen.

Infektion des Darmes unter Verdacht

Jetzt jedoch, könnten die Wissenschaftler heraus gefunden haben, was bei Reizdarm-Patienten geschieht. Sie hatten zunächst beobachtet, dass die Beschwerden bei vielen Betroffenen nach dem Durchmachen einer Darminfektion (Magen-Darm-Grippe/Gastroenteritis) begonnen haben. Bei bis zu 36% der Betroffenen lösen solche Infektionen im Anschluss ein Reizdarm-Syndrom aus. Also untersuchten sie, ob solche Infektionen die Darm-Immunreaktion nachhaltig stören.

Möglicherweise spielt es für den Darm eine entscheidende Rolle, welche Nahrungsmittel während einer solchen Infektion gerade in ihm präsent sind. Weil das Immunsystem während einer Darminfektion auf Angriff schaltet, könnte es sein, dass bestimmte Merkmale solcher, zufällig anwesenden Lebensmittel, dann genauso als Feind eingestuft werden und im lokalen Immungedächtnis abgelegt werden.

Es gibt Hinweise, dass der Darm von Betroffenen tatsächlich vor allem auf bestimmte Lebensmittel sensibel reagiert. Somit wäre die Ursache des Reizdarm-Syndroms gefunden. Bei mehr als einem Drittel aller Reizdarm-Erkrankten, finden sich solche Unverträglichkeiten.

Eiklar und Mäuse klären Ursache des Reizdarmsyndroms

Die Wissenschaftler prüften ihre Hypothese, indem sie Mäusen, während diese eine Darminfektion durchmachten, das Protein Ovalbumin mit dem Trinkwasser verabreichten. Dieses Eiweiß, dass im Eiklar von Eiern vorkommt, ist bekannt dafür, dass es Allergien auslösen kann.


Nachdem nun der Darminfekt bei den Mäusen abgeklungen war, verabreichten sie den Tieren erneut Ovalbumin.
Während nun die Kontrollgruppenmäuse das Allergen folgenlos verdauten, kam es bei einigen der Mäuse aus der Gruppe, die zuvor infiziert gewesen waren, zu Durchfall. Im Dickdarm dieser Mäuse waren verstärkt sogenannte IgE-Antikörper gegen das Ovalbumin gefunden worden. Diese Antikörper sind eigentlich ein typisches Anzeichen für eine allergische Reaktion.

Lokale Immunreaktion, aber keine Allergie als Ursache des Reizdarm-Syndroms gefunden

Interessant war, dass diese Antikörper in anderen Teilen des Verdauungstraktes nicht zu finden waren. Man fand sie nur im Dickdarm der Mäuse. Auch eine Injektion des Ovalbumin ins Ohr der Mäuse verursachte keinerlei allergische Reaktion. Damit stand fest, dass es sich um eine rein lokale Immunreaktion handelte, keine systemische, bei der der Stoff im ganzen Körper als Feind erkannt würde. Man untersuchte auch die Mastzellen im Körper der Mäuse auf erhöhte Aktivität.

Und auch hier wurde schnell klar, dass nur die Mastzellen im Dickdarm der Mäuse eine erhöhte Aktivität zeigten und allergietypische Botenstoffe freisetzten.
Insgesamt deuten diese Daten darauf hin, dass eine simple Magen-Darm-Infektion die normale Toleranz gegenüber Antigenen in Lebensmitteln verändern kann. Es kommt, als Folge dieser Infektion zu einer überzogenen Reaktion des Immunsystems auf Antigene in Lebensmitteln. Wenn sich die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, scheint zumindest eine Ursache des Reizdarm-Syndroms gefunden.


Ergänzend wurde an den Mäusen auch getestet, das sich diese überschießende Reaktion bei den Mäusen durch die Gabe von Mastzell-Hemmern und durch Anti-IgE-Körper dämpfen und auch verhindern lässt.

Bei Mäusen und Menschen gleiche Ursache des Reizdarmsyndroms gefunden

Um zu klären, ob diese Forschungsergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sind, setzten die Wissenschaftler den Dickdarm von 8 gesunden Kontrollpersonen und 12 Personen mit Reizdarmsyndrom ganz gezielt einigen sehr häufigen Lebensmitteln mit Allergiepotential aus. Dafür spritzen sie Lösungen von Weizen, Gluten, Milch und Sojaproteinen in die Schleimhaut des letzten Dickdarmanteils. Keiner der Freiwilligen hatte bekannte Allergien auf die Lebensmittel.


Alle 12 Reizdarmpatienten zeigten eine Immunreaktion gegen mindestens eines der getesteten Antigene. Aus der Kontrollgruppe traten nur bei zwei Personen Reaktionen auf. Durch Immunfluoreszenz-Analysen wurde im Dickdarm der Reizdarmpatienten eine deutlich erhöhte Mastzell-Aktivität festgestellt. So ist es also wahrscheinlich, das bei Reizdarmpatienten ein ähnlicher Mechanismus abläuft, wie bei den Mäusen.

Neue Therapieansätze in Sicht – Ursache des Reizdarmsyndroms gefunden

Damit ist das Reizdarmsyndrom zumindest bei einem Teil der Betroffenen eine Erkrankung des Immunsystems. Die Erkrankung ist also Teil des Spektrums, dass auch Allergien umfasst. Am unteren Ende der Skala steht damit die lokale Reaktion auf ein Allergen im Dickdarm, am anderen Ende die generalisierte Immunantwort echter Lebensmittelallergien. Das könnte auch erklären, dass Allergietests bei Reizdarmpatienten so oft negativ ausfallen.

Es scheint also, als sei zumindest bei einem Teil der Erkrankten, die Ursache des Reizdarmsyndroms gefunden.

Wenn sich diese Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, wird es ganz neue Therapieansätze und Chancen geben. Die Blockade der Aktivierung der Mastzellen, könnte ein Meilenstein in der Behandlung von Reizdarm sein. Außerdem haben Mediziner bereits beobachtet, dass bei Reizdarmpatienten, die auch unter Asthma leiden, weshalb sie einen Hemmstoff gegen IgE-Antikörper bekamen, auch die Darmbeschwerden stark nachließen.
Inzwischen wird auch eine Studie zur Behandlung von Reizdarmpatienten mit Antihistaminika durchgeführt.

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Fazit

Das scheint doch ein Hoffnungsschimmer zu sein. Hoffnung endlich aus der Psychoecke gerückt zu werden, Hoffnung aber auch, auf eine wirksame Therapie. Auch wenn es nicht für alle Reizdarmpatienten sofort die passende Therapie geben wird, die Dinge sind im Fluss und das ist weit mehr als man in den letzten Jahren hat sagen können. Das Herumdoktern an Symptomen und der zarte Hinweis auf ein eventuelle Psychotherapie könnten also bald der Vergangenheit angehören.

Quellen

  • Schäfer, T. et al. Epidemiology of food allergy/food intolerance in adults: associations with other manifestations of atopy. Allergy 56, 1172–1179 (2001)
  • Mowat, A. M. I. Anatomical basis of tolerance and immunity to intestinal antigens. Nat. Rev. Immunol3, 331–341 (2003).
  • Ford, A. C., Lacy, B. E. & Talley, N. J. Irritable bowel syndrome. N. Engl. J. Med376, 2566–2578 (2017).
  • Kassinen, A. et al. The fecal microbiota of irritable bowel syndrome patients differs significantly from that of healthy subjects. Gastroenterology 133, 24–33 (2007).
  • Halpin, S. J. & Ford, A. C. Prevalence of symptoms meeting criteria for irritable bowel syndrome in inflammatory bowel disease: systematic review and meta-analysis. Am. J. Gastroenterol107, 1474–1482 (2012).

Hallo, ich bin Andy

Ich arbeite als Medizinjournalistin und Autorin.  

Nach Abschluss eines naturwissenschaftlichen Studiums mit Diplom begann ich mich für Medizinjournalismus zu interessieren und machte ihn zu meinem Beruf.

Als Betroffene von Magen-Darm-Erkrankungen weiß ich, worüber ich schreibe.



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