Migräne als neue Nebenwirkung von PPI nun bestätigt
Kopfschmerzen gelten als bekannte, häufige Nebenwirkung bei der Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren und H2-Antagonisten, jedoch bisher nicht eine echte Migräne. Doch nun legt eine neue Studie nahe, das PPI das Risiko für Migräne und schwere Kopfschmerzen erhöhen, und das gleich um 30 bis 70 Prozent.
Was ist dran, an dieser Studie und wie sehen andere bewiesene oder vermutete Nebenwirkungen von PPI aus?
Die Studie zur neuen Nebenwirkung von PPI
https://www.neurology.org/doi/10.1212/CPJ.0000000000200302 (Link zur Originalstudie)
Es geht um eine Studie eines Teams von Forschenden an der University of Maryland unter Leitung von Dr. Margret Slavin.
Hier wurden Daten von 11.818 Teilnehmenden des National Health and Nutrition Examination Surveys aus den Jahren 1999 bis 2004 herangezogen.
Es wurde unter anderem nach dem Gebrauch von säurehemmenden Medikamenten (2340 Personen) und dem Auftreten von Migräne und schweren Kopfschmerzen in den letzten drei Monaten gefragt, sowie erfasst, wie viel Magnesium die Teilnehmenden täglich einnahmen.
Die Ergebnisse
25% der Teilnehmenden die einen PPI oder ein H2-Antihistaminikum wie Cimetidin einnahmen berichteten von schweren Kopfschmerzen und Migräne.
Auch bei Einnahme von Antazida gaben 22 Prozent der Teilnehmer an, unter Migräne und schweren Kopfschmerzen zu leiden.
In der Vergleichsgruppe, die keinerlei PPI, H2-Blocker oder Antazida einnahmen waren es 20 Prozent.
Unter Heranziehung anderer Faktoren, die sich auf das Migränerisiko auswirken können wie etwa Alter, Geschlecht, Koffein- und Alkoholkonsum ergab sich, dass Menschen, die PPI einnahmen, ein um 70 Prozent höheres Migränerisiko hatten, als Menschen, die keine PPI oder andere säurereduzierende Medikamente einnahmen.
Bei Teilnehmenden die H2-Blocker einnahmen war das Migräne-Risiko um 40 Prozent erhöht und bei Antazida um 30 Prozent.
PPI-Gebrauch und Magnesium-Mangel
Das Säureblocker Migräne begünstigen ist mehr als plausibel, denn Magnesium-Mangel kann unter der Einnahme von PPI und H2-Blockern auftreten.
Eine Studie hatte vor einigen Jahren gezeigt, das Erkrankungen des Verdauungstraktes generell mit einem höheren Migräne-Risiko zusammenhängen.
Ein Anstieg von Migräneattacken nach Beginn einer Behandlung mit PPI konnte durch eine britische Studie nachgewiesen werden.
Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat Daten mit einer erhöhten Rate von entsprechenden Nebenwirkungsraten.
Bewertung der Studie zur neuen Nebenwirkung von PPI
Es ist noch nicht sicher, was was verursacht. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass der Zusammenhang zwischen Migräne und Erkrankungen des Verdauungstraktes eine vollständige Erklärung für den in der Studie gefundenen Zusammenhang zwischen säurereduzierenden Medikamenten und Migräne ist klein.
Hier sind weitere prospektive Studien nötig, um dies abschließend zu klären.
Doch die Autoren dieser Studie raten Migränepatienten oder Patienten mit starken Kopfschmerzen einen möglichen Zusammenhang mit einer PPI-Therapie mit ihrem Arzt zu besprechen und zu überlegen, ob sie die Medikamente absetzen sollten.
Fragt sich nur, ob der Arzt die Studie kennt.
Ich rate Betroffenen an dieser Stelle, die oben erwähnte Originalpublikation ausgedruckt mit zum Arztbesuch zu nehmen.
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Andere Nebenwirkungen von PPI
Die Nebenwirkungen von PPI sind ein häufiger Grund, weshalb Betroffene die Einnahme der Medikamente ablehnen. Diese Medikamente haben ein schlechten Ruf. Doch oft sind es gar nicht die gefürchteten Nebenwirkungen wie Demenz oder Osteoporose, die sie zur Gefahr werden lassen.
Gerade bei unspezifischen Nebenwirkungen wie:
- Schlafstörungen
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Übelkeit
- Blähungen
- Erbrechen
- Hautausschlag
- Durchfall
- Verstopfung
- Völlegefühl
- Vitamin-B-12-Mangel
- erhöhte Leberenzym-Werte (reversibel)
- Seh-, Hör- und Geschmacksstörungen (reversibel, meist nach intravenöser Gabe)
denkt kaum jemand an diese Medikamente als Auslöser.
Und wir sehen hier nur die häufigen Nebenwirkungen.
Risiken bei Langzeiteinnahme von PPI
- Schenkelhals- und Wirbelkörperfrakturen (durch verminderte Ca2+-Resorption aus dem Darm und Änderungen im Knochenstoffwechsel)
- Durchfälle und Darmentzündungen durch Störungen des Darmbioms
- Eisenmangel
- Magnesiummangel
- Lungenentzündungen durch gramnegative Bakterien
Weitere Risiken der PPI-Einnahme
Es gibt sechs noch nicht abschließend geklärte Risiken unter PPI-Einnahme.
Der Magnesium-Mangel, das Osteoporose- und Frakturrisiko, Demenz, chronische Nierenerkrankung, Risiken im Bereich der Herz-Kreislauferkrankungen sowie ein eventuell erhöhtes Schlaganfallrisiko.
Magnesium-Mangel als weitere Nebenwirkung von PPI
Die Arbeitsgruppe Pharmakovigilanz des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat im Jahr 2012 eine Bewertung des Risikos einen Magnesium-Mangel zu entwickeln bei einer langfristigen Einnahme von PPI vorgenommen und einen Zusammenhang bestätigt. Dieses gilt ebenfalls für die Gefahr von Knochenbrüchen (s. u.).
Interessant für die Auswertung waren Fallberichte über schwere Magnesiummangelzustände bei Patienten, die mindestens drei Monate, meist sogar ein Jahr lang mit PPI behandelt wurden.
Schwerwiegende Manifestationen eines Magnesiummangels sind u. a. Erschöpfungszustände, Krämpfe und ventrikuläre Arrhythmien. Wahrscheinlich beeinträchtigen PPI sowohl die aktive als auch die passive Resorption von Magnesium.
Achtung: Gemäß den aktuellen Fachinformationen der meisten PPI ist
- bei Patienten, die PPI zusammen mit Arzneimitteln, die zu einem Magnesium-Mangel führen können (z. B. Digoxin, Diuretika), einnehmen, oder
- bei Patienten, für die eine längere PPI-Therapie geplant ist,
eine periodische Überwachung der Magnesiumspiegel zu erwägen. Ein durch PPI bedingter Magnesium-Mangel ist in der Regel durch Absetzen des PPI und die Gabe von Magnesium reversibel. So ist diese Nebenwirkung von PPI zu beheben.
Näheres zu Magnesium-Mangel und seinen Auswirkungen erfährst du hier:
https://magenkompass.de/magnesiummangel-und-sodbrennen/
Osteoporose- und Fraktur-Risiko
Die Untersuchung eines erhöhten Osteoporose- und Knochenbruchrisikos ist noch nicht beendet, die Ursächlichkeit noch nicht zweifelsfrei belegt. Man nimmt an, dass die reduzierte Magensäure die Calcium- und/oder Vitamin-D-Resorption beeinträchtigt.
Außerdem können PPI möglicherweise durch eine direkte Interaktion mit Knochenmaterial Einfluss auf die Knochenmodellierung nehmen. In zwei Studien konnte jedoch kein Einfluss von PPI auf die Calciumresorption nachgewiesen werden.
Beobachtungsstudien und Metaanalysen beschreiben unter hochdosierter PPI-Langzeittherapie (über ein Jahr) ein mäßig erhöhtes Risiko für Hüft-, Handgelenks- und Wirbelkörper-Brüchen, insbesondere bei älteren Patienten oder bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren. Zu diesem Schluss kam auch die EMA in ihrer Bewertung.
Aus diesem Grund hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die betroffenen pharmazeutischen Unternehmen in einem Schreiben (vom 25.7.2012) zu einer entsprechenden Anpassung der Texte aufgefordert.
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Risiken, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln
Schon in der Vergangenheit sind PPI bezüglich Herz-Kreislauf-Komplikationen in die Diskussion geraten. Ob die Abschwächung der Wirkung von Clopidogrel durch PPI klinisch relevant ist, war Gegenstand einiger Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen.
Die Autoren einer im Jahr 2015 veröffentlichten Metaanalyse gaben Entwarnung: Eine Unteranalyse von ausschließlich randomisierten kontrollierten Studien ergab kein erhöhtes Sterblichkeits- oder Risiko für gefäßverstopfende Ereignisse.
Patienten, die aufgrund einer Refluxerkrankung PPI einnehmen, erleiden laut einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2015 häufiger einen Herzinfarkt. Betroffen waren auch jüngere Patienten (unter 45 Jahre) ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung.
Die Therapie mit H2 -Blockern ging hingegen nicht mit einem erhöhten Risiko einher.
Schlaganfallrisiko
Die Autoren einer dänischen Beobachtungsstudie berichteten auf dem Jahreskongress der Amerikanischen Gesellschaft für Herzerkrankungen (AHA) 2016, dass die Einnahme von PPI dosisabhängig mit einem erhöhten Risiko für einen ischämischen Schlaganfall assoziiert ist.
Unter Gabe von H2-Blockern beobachtete man keine Risikoerhöhung. Diese Ergebnisse sind vorläufig, da die Studie noch nicht veröffentlicht ist.
Demenz
Im Februar 2016 erschien eine große prospektive Kohortenstudie aus Deutschland mit mehr als 73.000 Patienten, die für die längerfristige Anwendung von PPI ein um 44% erhöhtes Demenz-Risiko (ohne Differenzierung der Demenz-Form) darlegte.
Dies bestätigte die Ergebnisse einer zuvor durchgeführten kleineren Studie.
chronische Nierenerkrankung
Laut einer 2016 publizierten Kohortenstudie erhöht die Einnahme von PPI (dosisabhängig) das Risiko für das Auftreten einer chronischen Nierenerkrankung. Hierbei sind der ursächliche Zusammenhang und die pathophysiologischen Mechanismen teilweise noch unklar.
Die dauerhafte Einnahme von PPI kann zu einer interstitiellen Nephritis – möglicherweise mit einer Verschlechterung bis hin zum Nierenversagen – führen.
Weitere Informationen zu diesem Thema gibt es hier:
Quellen
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Lazarus B et al. Proton Pump Inhibitor Use and the Risk of Chronic Kidney Disease. JAMA Intern Med 2016;176(2):238-46
Gomm W et al. Association of Proton Pump Inhibitors With Risk of Dementia: A Pharmacoepidemiological Claims Data Analysis. JAMA Neurol 2016;73:410-416
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Wright MJ et al. Inhibiting gastric acid production does not affect intestinal calcium absorption in young, healthy individuals: a randomized, crossover, controlled clinical trial. J Bone Miner Res 2010;25:2205-11
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