Stiller Reflux und dorsaler Vagus

Konzept Stiller Reflux + Polyvagaltheorie

Einleitung

Was hat Stiller Reflux mit dem dorsalen Vagus zu tun?
Die Polyvagal-Theorie ist eine relativ neue Betrachtungsweise der Funktion unseres autonomen Nervensystems. Durch Stephen W. Porges 1990 begründet, fügt sie unseren Vorstellungen von der Funktion des autonomen Nervensystems den dorsalen Vagus Ast hinzu.
Und der hat es ins ich. Er ist einzig unserem Überleben gewidmet und wir können nichts an ihm bewusst steuern. Stephen Porges fügt dem Modell von vagalem Ruhemodus und sympathischem Kampf- oder Fluchtmodus den Modus der Erstarrung oder des Freezes hinzu.
Dieser Freeze-Modus, das Erstarren, wenn Flucht oder Kampf nicht mehr möglich ist, führt, wenn er länger anhält zu einer kompletten Dysregulation unseres Nervensystems.
Was bedeutet das nun im Hinblick auf Stillen Reflux?
Wenn wir im Freeze-Zustand leben, dann sind viele, nicht lebenswichtige Organsysteme einschließlich unseres Gehirns und unserer Verdauung in nicht unerheblicher Weise heruntergefahren.
Das heißt: Der Begriff Dauerstress, wird gerade neu definiert und auch nivelliert.
Die Aktivität des dorsalen Vagus könnte für die meisten von uns die Erklärung für so manches, dass in ihrem Leben schiefläuft sein, auch für den Stillen Reflux aber vor allem dafür, warum alle getroffenen Maßnahmen scheinbar nicht greifen.
Wie das alles zusammenhängt, erfahrt ihr hier.

Das autonome Nervensystem – die Blackbox der Psychotherapie?

Es ist nicht möglich, sich gegen die Entscheidungen unseres autonomen Nervensystems zu wehren. Wir haben keinerlei Kontrolle darüber. Das klingt wie aus einem Horror-Film, aber es stimmt. Es ist das von der Natur geschaffene System, dass unser Überleben ermöglichen soll.

Warum ist das so?
Wir hören viel darüber, dass das autonome Nervensystem aus zwei gegensätzlichen Untersystemen besteht:
dem Parasympathischen Nervensystem, dass es uns ermöglicht, uns auszuruhen und zu entspannen und dem sympathischen Nervensystem, dass uns aktiviert und fit macht für Kampf oder Flucht.

Doch was ist, wenn wir nicht mehr kämpfen oder flüchten können?

Einen Teil der Antwort auf diese Frage finden wir auf der Frühgeborenen-Station des nächsten Krankenhauses. Hier wird nämlich die Aktivierung des Vagus-Nervs bei den Kindern weniger begrüßt, denn sie bedeutet für die Frühchen Lebensgefahr.

Es wird der dunkle Teil unseres Vagusnervs aktiviert, der dorsale Vagus, der in unseren Vorfahren bereits existierte, als sie sich als Reptil durch die Welt bewegten.

In der Regel tritt bei Aktivierung des dorsalen Vagusnervs bei Neugeborenen ein verlangsamter Herzschlag und ein Aussetzen der Atmung ein. Deshalb ist die Vagus Aktivierung dort gefürchtet. Und wer soll verkabelt und mit Schläuchen in fast allen Körperöffnungen anderes annehmen, als dass er in Lebensgefahr sei.

So kann uns ein und derselbe Nerv sowohl beschützen als auch unser Leben gefährden. Stephen Porges nannte dies grob vereinfacht, das Vagusparadox und machte daraus die Polyvagal-Theorie.

 Die ventrale Hälfte des Vagus-Nervs und der Stille Reflux

Man nennt ihn auch den modernen Vagus, denn er ist bei weitem nicht so alt wie der dorsale Vagus aus den Zeiten der Reptilien.
Er ist der ventrale (bauchseitige) Vagus, hat eine schützende Myelin-Schicht und sein Kern birgt auch die Quellkerne von vier weiteren Nerven, die uns bei Stillem Reflux interessieren sollten. Wo also liegt der Zusammenhang zwischen der Aktivierung des ventralen Vagus und Stillem Reflux?

Der Vagus-Nerv und seine Brüder

Da ist der Trigeminus-Nerv, der Gesichtsnerv (Nervus faszialis), der Zungen-Rachen-Nerv (Nervus glossopharyngeus) und der Nervus accesorius. Sie alle gehören zum sogenannten ventralen Vagus-Komplex.

Welche Aufgaben haben diese Nerven?

Trigeminus-Nerv:

  • ermöglicht Empfindungen in Gesicht, Kopf und Mund durch Muskelarbeit abzubilden (gemeinsam mit dem Gesichts-Nerv)
  • steuert die Muskeln beim Beißen und Kauen

War es nicht so, dass überdurchschnittlich viele Menschen, die von Stillem Reflux geplagt werden, auch unter einer Kieferfehlstellung sprich cranio-mandibulärer Dysfunktion (CMD) leiden?

Gesichts-Nerv:

  • steuert die meisten Muskeln in unserem Gesicht, die es uns ermöglichen, in Gesprächen Gefühle auszudrücken.

Zum Gesichtsnerv und zum Trigeminus-Nerv gehören auch Abzweigungen, die das Mittelohr innervieren und dort die kleinsten Muskeln des Körpers steuern.
Diese winzigen Muskeln machen es uns möglich, Hintergrundgeräusche abzudämpfen, um Sprache besser verstehen zu können.
Nicht wenige Betroffene von Stillem Reflux haben genau damit Probleme.

Zungen-Rachen-Nerv:
Der Nervus glossopharyngeus ist für unsere Fähigkeit zu schmecken, Speichel zu erzeugen und zu schlucken, wichtig.
Dieser Nerv reguliert zusammen mit dem Vagusnerv die motorischen Funktionen des Rachens und des Kehlkopfes, die uns das Sprechen ermöglichen.

Die Speichelbildung ist bei vielen Betroffenen von Stillem Reflux massiv gestört und die Stimme verändert, vielleicht ja nicht nur durch die Wirkung des Säure-Pepsin-Gemisches sondern auch durch Probleme mit einer Aktivierung des Sympathikus und der entsprechenden Dimmung des ventralen Vagus.

Nervus acessorius:
Dieser Nerv hat die Kontrolle über verschiedene Hals- und Kopfmuskeln, unter anderen die Muskeln, die wir aktivieren, wenn wir die Achseln zucken und jene, die mittels Rachen und Kehlkopf Töne und Sprachlaute erzeugen.

Kehldeckel und Stiller Reflux

Und da ist er wieder, der Kehlkopfbereich, der uns die Probleme bereitet. Die überwiegende Mehrheit aller „Stillen Refluxer“ hat hier, im Kehlkopfbereich ein deutliches Problem!

Denn diese Muskeln sind auch am Schluckakt und daran, dass der Kehldeckel schließt, beteiligt.
Für die nervliche Versorgung dieses Bereichs ist allein der Vagusnerv, in diesem Fall der ventrale oder vordere Ast des Vagus verantwortlich.

Ist die Funktion dieses Nervs nun dauerhaft heruntergeregelt, wie es bei Menschen, die dauerhaft unter Druck stehen ist, dann kommt es zu Funktionseinschränkungen von Kehlkopf und Kehldeckel, die den Gasen des Stillen Refluxes den Weg hinauf ermöglichen.

Näheres dazu findest du hier:

https://magenkompass.de/das-klossgefuehl-und-der-stille-reflux/

https://magenkompass.de/stiller-reflux-und-verspannte-halsmuskeln/


Schon gewusst?

Wenn Nahrung unterhalb des Kehldeckels stecken bleibt, kann der Druck auf das Nervengeflecht des Nervus laryngeus superior einen sogenannten Bolus Tod auslösen.
Betroffen sind häufig stark Alkoholisierte oder Komapatienten ohne entsprechende Schutzreflexe, aber auch beim gesunden Menschen kann es bei Verschlucken zum Bolus Tod kommen.

Wichtig zu wissen ist, dass der Betroffene nicht erstickt, wie oft angenommen wird, sondern durch den Vagus Reiz einen reflektorischen Kreislauf- oder Herzstillstand erleidet.

Ähnlich wie bei den Frühgeborenen hat auch hier der dorsale Vagus übernommen und das tut er, weil unser autonomes Nervensystem davon ausgeht, dass wir in Lebensgefahr sind und Flucht oder Kampf nicht möglich sind.

Und hier kommt der dorsale Teil des Vagusnervs oder auch seine dunkle Seite ins Spiel.

dorsaler Vaguskomplex

Der alte Vagus – Das Reptiliengehirn

Er ist so alt, dass ihm die Myelinschicht fehlt, die der ventrale, moderne Vagus besitzt, der uns cool, ruhig und gesammelt macht.
Dieser Teil des Vagus aber ist mit einem anderen Teil des Hirnstammes verbunden als der ventrale. Dabei geht es um den dorsalen Vaguskomplex. Und dieser Bereich beschäftigt sich mit der Aktivierung und Regulierung von Organen im Bauchbereich.

Solange wir nicht massiv bedroht werden, unterstützt der Dorsale Vaguskomplex homöostatische Funktionen, indem er die Regulation dieser Organe, die im Körper unterhalb des Zwerchfells liegen übernimmt.

Und auch unser Herz hat über diesen Nerven eine direkte Verbindung zu unserem Hirnstamm.

Doch was geschieht nun, wenn unser Nervensystem extreme Gefahr erkennt? Nun schickt eine Feedback-Schleife diese Information in die inneren Organe, die Sinne und den Hirnstamm. Das transformiert unseren gesamten Körper.

Und das geschieht in unserem Hirnstamm, nicht im Bereich des rationalen Denkens.

Was macht nun dieses Gefühl größter Gefahr mit uns und in uns?

Es schaltet in uns alles ab, was im Moment nicht lebenswichtig ist. In Bruchteilen von Sekunden verlieren wir unsere Fähigkeit logisch zu denken und verwandeln uns in triebgesteuerte Tiere, die knurren, zuschnappen oder erstarren ohne dass wir auch nur einen Wimpernschlag lang darüber nachdenken.
So arbeitet also jetzt in uns das Reptilien-Hirn und übernimmt die Kontrolle.

Das nennt man die Shutdown-Reaktion. Wir funktionieren in dieser Reaktion wie Reptilien. Statt sich für Kampf oder Flucht bereit zu machen, schalten Reptilien oft ihren Körper ab, stellen sich tot und erstarren, um nicht entdeckt zu werden – und eventuell sogar nahezu schmerzlos zu sterben.

Diese Beziehung zwischen unseren inneren Organen und unserem triebhaften Verhalten kommt auch in unserer Sprache zum Ausdruck. Dann wenn wir davon sprechen, dass wir „auf Grund von Bauchgefühlen handeln“ oder „dem Herzen, statt dem Verstand folgen“.

Was geschieht in diesem vom Reptilien-Hirn gesteuerten Zustand nun in unserem Körper?

Unser Gesichtsausdruck wird flacher, ausdrucksloser, unsere Stimme klingt monotoner und es fällt uns deutlich schwerer, die Stimmen anderer zu verstehen.

Die gesamte Verdauung und Nahrungsaufnahme wird heruntergeregelt. Menschen, die stark traumatisiert sind, leiden häufiger als andere an Verdauungsproblemen wie zum Beispiel Reizdarm aber auch eine Intensivierung Stillen Refluxes ist möglich.

Wir verhalten uns auch anders und sind Ich-bezogener.
Wir können uns kaum noch regenerieren und erholen.
Unsere Fähigkeit zur Selbstheilung lässt nach.
Banale Infekte auszukurieren, dauert viel länger als zuvor.

Bedeutung der sozialen Interaktion und Sicherheit für die Aktivierung des ventralen Vagusnervs

 Und es kommt noch ein sehr wichtiger Fakt hinzu: wir fühlen uns nicht mehr sicher. Unser Körper fürchtet ständig tatsächlich vorhandene oder eingebildete Bedrohungen. Wir katastrophisieren.

All das kann man an den Stimmen der Betroffenen hören und in ihren Gesichtern sehen.
Wir isolieren uns von anderen, die soziale Verbundenheit verschwindet und weicht ängstlicher Bedrücktheit.

Hinzu kommen die Sorgen, die wir uns um unsere Gesundheit machen, wegen der Beschwerden durch den Stillen Reflux und die Belastung und Einschränkung dadurch im Alltag. Was auch immer wir versuchen, nichts scheint zu wirken und Erleichterung zu bringen.

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Social Freeze - abgeschaltet funktionieren

Functional Freeze beschreibt einen paradoxen Zustand. Nach außen scheinen wir zu funktionieren, doch in unserem Inneren sind wir erstarrt. Auch hier hat unser Körper uns in einen Erstarrungszustand versetzt, weil wir überfordert waren oder unsere Neurozeption eine Bedrohung erkannt hat, der wir nicht mehr durch Flucht oder Kampf entkommen konnten.

Doch anders als beim kompletten Shutdown sind wir noch in der Lage, grundlegende Funktionen auszuführen, sind jedoch mit allem, was darüber hinausgeht überfordert.

Welche Gründe kann es haben, dass wir in den Freeze-Modus fallen:

  • Überforderung:
    Zu viele Aufgaben gleichzeitig haben nichts mehr mit Multitasking und viel mit Überforderung zu tun.
  • Perfektionismus:
    Der oft selbst auferlegte Druck, alles perfekt machen zu wollen, lähmt uns und führt dazu, dass wir unseren eigenen zu hoch liegenden Standards nicht mehr gerecht werden können.
  • Angst vor Fehlern:
    In einer Leistungsgesellschaft werden Fehler oft als Schwäche ausgelegt. Daraus entsteht entweder noch mehr Perfektionismus oder wir machen nichts, denn wer nichts macht, kann auch keine Fehler machen.
  • Erschöpfung:
    Chronischer Stress und Überlastung können unsere mentalen Fähigkeiten ebenso wie unsere emotionalen Ressourcen aufbrauchen und plötzlich fällt es uns schon schwer zu entscheiden, ob es zum Frühstück Kirsch- oder Blaubeermarmelade sein soll.
  • Traumata und negative Erfahrungen:
    Manchmal entsteht eine Social-Freeze-Reaktion auch durch negative Erlebnisse oder Traumata in der Kindheit. Unser Gehirn versucht uns vor einer Wiederholung dieser Erfahrungen zu schützen, indem es uns handlungsunfähig macht.

Was läuft nun ab, wenn Stiller Reflux entsteht?

Stress und Freeze-Reaktion

Wir sind schon länger im Dauerstress, der Sympathikus hat die Führung in uns. Es gibt immer weniger Zeiträume, in denen wir wirklich abschalten können. Unsere Muskeln verspannen, unsere Atmung wird flacher und wir sitzen immer mehr. Sport ist schon längst hinten herunter gefallen.

Wir ernähren uns immer ungesunder. Unser Darm wird in Mitleidenschaft gezogen und die Darmflora oder besser das Darmbiom verändert sich. Dadurch werden nicht mehr ausreichend Neurotransmitter hergestellt. Das lässt unsere Stimmung in den Keller rutschen. Wir sehen alles immer kritischer und beginnen zu katastrophisieren und entwickeln Ängste.

Längst sind Rückenschmerzen, schlechter Schlaf, Dauermüdigkeit und Verdauungsprobleme unsere ständigen Begleiter. Wir funktionieren, aber wir wandeln auf einem schmalen Grad, meist ohne es überhaupt zu bemerken.

Noch kann unser Körper all das, was wir ihm und auch unserer Psyche zumuten gerade eben noch kompensieren.
Doch dann passiert etwas. Entweder wird der Druck noch größer oder es geschieht etwas, dass uns in noch größere Schwierigkeiten bringt, uns erschüttert, was auch immer.

Was ist aber bis hierher schon passiert zwischen dem dorsalen Vagus und dem Stillen Reflux?

Der Druck war hoch und er hielt zu lange an. Es gab kaum noch Phasen der Regeneration. Es war wie ein renommierter Psycho-Analytiker einmal schrieb:

 >>Die Psyche und der Körper unterhielten sich im Konzert des Lebens. Die Psyche sagt zum Körper: Ich weiß nicht mehr was ich machen soll! Er hört einfach nicht auf mich. Darauf antwortet der Körper: Versuchs noch mal und wenn es nicht klappt, dann sag ich es ihm. Auf mich hört er!<<

Hier tritt dann dieser Effekt, den viele von uns kennen ein. Scheinbar ganz plötzlich treten Beschwerden wie Stiller Reflux oder klassischer Reflux auf.

Was passiert dann?

Jetzt werden wir aktiv, gehen zum Arzt, lassen Untersuchungen durchführen, deren Ergebnisse wir als schlimmes Schicksal interpretieren, während der Gastroenterologe nichts sah, was ihn an etwas anderes denken ließ als PPI.

Durch die verschobenen Neurotransmitter sehen wir eine schreckliche Zukunft als schwer Erkrankter vor uns, dass stresst uns noch mehr. Desto weniger wir daran glauben, dass wir da auch wieder herauskommen können, desto mehr von unserem Stresshormon Cortisol wird ausgestoßen und desto aussichtsloser wird alles aus unserer Perspektive.
Wir kommen da nie wieder raus und unsere Lebensqualität wird für immer in den Keller rutschen. Kein Arzt kann uns helfen, meinen wir nun.

Die Macht der Neurozeption

Die Neurozeption ist, so schreibt Stephen Porges es in einem seiner Bücher, das Kontrollsystem unseres Körpers, unser Bauchgefühl, unser Radar, dass die Umwelt ständig nach äußeren Anzeichen und Signalen absucht, ob wir in Sicherheit oder in Gefahr sind.
 
Diese Einrichtung unseres Nervensystems soll unser Überleben in schwierigen Situationen ermöglichen. Doch sie hat einen Haken. Wenn wir gestresst sind, dann geht die Neurozeption davon aus, dass wir in Gefahr sind und beginnt nun nach immer mehr anderen Anzeichen für Gefahr zu suchen.

So wird dann aus einer gastorenterologischen Diagnose das Richtschwert des Schicksals, dem wir wehrlos ausgeliefert sind. Wir katastrophisieren und geraten in die Psycho-Ecke. 

Der Freeze-Zustand als Ausweg unseres Nervensystems 

Wir stehen also aus dem Blickwinkel unserer Neurozeption mit dem Rücken zur Wand und haben die Gefahr vor uns ohne einen Ausweg in Form von Flucht oder Kampf zu haben.

Nun beginnt die Neurozeption Lebensgefahr zu wittern und ... schaltet uns in den Freeze-Zustand. Wir erstarren.
Das heißt wir erstarren entweder völlig, sind nicht mehr arbeitsfähig und suchen weiter Hilfe bei Ärzten und Therapeuten, die aber nicht viel bringt oder uns ereilt jener Zustand, den man Social-Freeze nennt. Hier gibt es viele Zwischen-Stufen. Niemand erstarrt einfach, aber es gibt deutliche Einschränkungen.
Wir funktionieren noch eben gerade so, sind aber sofort raus, wenn wir den Arbeitsalltag hinter uns haben und schon mit kleinsten Entscheidungen überfordert. Überforderung, Perfektionismus und die Angst vor Fehlern gepaart mit ständiger Erschöpfung bestimmen unseren Alltag.
Die Gedanken kreisen, kommen aber zu keinem Ergebnis. Wir können uns kaum noch entscheiden und prokrastinieren mehr als früher. Innerlich sind wir unruhig und angespannt, können aber einfach nicht aktiv werden.
Unser Körper fühlt sich schwer an. Uns quält der Stille Reflux.

Social Freeze-konzept

Wie kommen wir aus dem Freeze-Zustand heraus?

Zunächst müssen wir dazu erst Mal erkennen, dass es so ist und diesen Zustand akzeptieren.
Dann ist es sehr sinnvoll, Aufgaben, die einem riesig erscheinen, in ganz kleine Teile zu zerlegen. Dazu sucht man sich einen Timer und stellt ihn auf 5 oder 10 Minuten und sucht sich einen winzigen Teil der größeren Aufgabe, den man sich aber gerade noch zutraut. Man beginnt, ohne über das Endergebnis nachzudenken.
Vielleicht kommst man so in den Flow und macht weiter. und wenn nicht, dann eben beim nächsten Mal.
Unser Gehirn hat die Tendenz, angefangene Aufgaben zu Ende bringen zu wollen.

Außerdem kann es sehr helfen, Bewegung in seinen Alltag zu bringen. Alle dreißig Minuten eine Bewegungspause, vielleicht einmal um den Block gehen, vielleicht eine Yogasequenz, hilft das physische Einfrieren zu durchbrechen und mentale Blockaden zu lösen.

Auch Achtsamkeitsübungen, kurze Meditationen oder Atemübungen wie etwa Zwerchfelltiefenatmung können helfen den Freeze-Zustand zu durchbrechen.
Helfen können auch Routinen, die du etablierst, denn so rauben dir nicht ständig Entscheidungen die Energie.

Vertraue dich Personen an, die vertrauenswürdig sind und bitte um Hilfe.
Manchmal hilft schon, die Last zu teilen.

Suche dir einen Traumatherapeuten oder einen Psychotherapeuten. Er kann dir helfen, langfristige Bewältigungsstrategien zu entwickeln, die in dein Leben passen und die Wiederkehr des Freeze-Zustands zu verhindern.

Übe dich in solchen Strategien, wenn du ruhig bist, nicht erst, wenn du drohst in den Freeze zu gehen.

Fazit

Der Freeze-Zustand kann uns bei Stillem Reflux und auch bei klassischem Reflux in einen mentalen Zustand versetzen, der uns glauben lässt, wir kämen da nie wieder heraus. Aber die Aktivierung des dorsalen Vagus kann auch deutlich zur Verschlechterung der Symptome des Stillen Refluxes beitragen.
Der dorsale Vagus lässt uns alles wie durch eine milchige Glasscheibe sehen, wir können nicht mehr zuhören, Informationen nicht mehr verarbeiten und unser soziales Verhalten verändert sich.

Wir sind antriebslos, ratlos, hilflos und erstarrt, erschlafft oder dissoziiert (entrückt) unsere Gedanken kreisen ständig um die Erkrankung und kommen zu keinem Ergebnis.

Oft sind wir auch Licht- und Geräuschempfindlich.

Unser Körper regelt alle Funktionen, die er nicht unmittelbar benötigt um zu überleben, auch unsere gesamte Verdauung herunter.
Der ventrale Vagus arbeitet nicht, der Sympathikus hat auf Lebensgefahr geschaltet und nun sitzen wir dort, wo keine Therapie mehr hilft.

Doch wenn wir es schaffen aus diesem Freeze-Zustand  herauszukommen, gibt es eine Chance, auch den Stillen Reflux wieder loszuwerden. Ist der ventrale Vagus eingeschaltet, so lockern sich unsere Muskeln, die Atmung normalisiert sich und wir finden zu einer neuen Normalität in Ernährung und Lebensstil, die es uns ermöglicht, ohne unseren ungeliebten Begleiter, den Stillen Reflux zu leben.

Quellen

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Stephen W. Porges & Seth Porges: Sicherheit und Heilung finden, Die Polyvagaltheorie in unserem Leben, G.P. Probst Verlag Lichtenau/Westfalen
ISBN 978-3-944476-51-3

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Ich arbeite als Medizinjournalistin und Autorin.  

Nach Abschluss eines naturwissenschaftlichen Studiums mit Diplom begann ich mich für Medizinjournalismus zu interessieren und machte ihn zu meinem Beruf.

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Andy Kuhl